Urbane Fotografie – Anderswo

 

Wittenberge – Die Magie der Progressiven Provinz

 

  Wittenberge liegt an der Elbe, genau zwischen den Metropolen Hamburg und Berlin. In der Kleinstadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Nach der Wende verlassen ca. die Hälfte der Einwohner ihre Heimat. Wenn man nicht gerade durch die Einkaufsstraße geht, begegnet man Einheimischen und Touristen an diesem schönen Spätsommertag Ende August 2022 nur vereinzelt. Trotzdem bleibt der Eindruck, dass sich die Menschen hier kennen. Einige Straßen haben noch ein altes Kopfsteinpflaster. Die Straßenlaternen sind hier nicht aschgrau, sondern freundlich hellblau. Alte Industriebauten – darunter das ehemalige Singer/Veritas-Nähmaschinenwerk – und teils verwilderte Brachflächen erzeugen eine verwunschene Atmosphäre. Die Bausubstanz der Wohn- und Geschäftshäuser ist wunderschön und alt. Verfallene Gebäude strahlen einen morbiden Charme aus, einige Häuer werden gerade liebevoll saniert und die meisten Häuser erstrahlen bereits in einem neuen Glanz – meist farbenfroh. An den Fassaden erzählen Schriftzüge, wer hier früher ein Gewerbe betrieben  hat: ein Schmiedemeister, ein Pferdehändler, eine Konditorei und Schokoladen-Spezial-Geschäft, … . Das aktuelle Gewerbe ist durch viele alteingesessene Einzelhändler geprägt. Jedoch ist noch ein erheblicher Leerstand in den Straßenzügen sichtbar. Außer den üblichen Lebensmitteldiscountern sind glücklicherweise bisher keine großen Filialketten nach Wittenberge vorgedrungen.

Wittenberge ist ein magischer Ort, an dem man spontan seine Kindheit noch einmal verbringen möchte. 

Und dann überrascht die Kleinstadt mit visuellen Attraktionen. Großflächige Stadtansichten an Häuserfassaden heißen Auswärtige willkommen. Die Schaufenster von Leerständen sind mit großformatigen historischen Fotos geschmückt. Eine Künstlerin bemalt gerade im Rahmen des Kunstresidenzprojektes Xtrem:Normal die Seitenwand eines mehrstöckigen Wohnhauses. An Seilen aufgespannte bunte Regenschirme tanzen im Wind. Immer wieder tauchen übergroße rote und blaue, schön bepflanzte Blumentöpfe auf. Ein Fassadengarten blüht und gedeiht an einer Hauswand im Zentrum.

Nein, die Zeit ist nicht stehen geblieben in Wittenberge. Schließlich steuert die Atomuhr des Physikalischen Instituts Braunschweig die Uhr am Singer/Veritas-Uhrenturm, dem Wahrzeichen der Stadt, fern. Wittenberge ist der Zeit sogar voraus. 2019 holt die Stadt im Rahmen des „Summer of Pioneers“ Kreative aus Großstädten zum Probewohnen und -arbeiten nach Wittenberge, um der Schrumpfung und dem Verfall entgegenzuwirken. Die kreativen Pioniere starten Aktionen, Veranstaltungen und Projekte,  die einen Wandel anstoßen. Einige Kreative bleiben. Weitere folgen.

Wittenberge ist Progressive Provinz. Eine Kleinstadt auf dem Land, die sich kreativ und innovativ für die Zukunft rüstet und gestresste Großstädter mit Sehnsucht nach einem beschaulichen Leben anzieht. 

Hier sehen sie Auszüge. Die gesamte Serie umfasst weitere Fotografien.

 

 

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